Donnerstag, 17. Oktober 2019

Fotosplitter Pastoralkolleg I

Impressionen: Das war das Pastoralkolleg "Empowerment". Zwei Dutzend Pfarrerinnen und Pfarrer auf der Suche nach entwicklungpolitischer Erleuchtung in Indien. Mit fantsastischer Unterstützung der Karl-Kübel- Stiftung. https://www.kkstiftung.de/de/index.htm






















Spiritual Surprises


Ich dachte, es wäre ein Pflichttermin: Begegnung mit der Kirchenverwaltung der Church of South India. Aber es kam ganz anders.

Die Leitung wechselt unter den 24 Bischöfen. Mit zwei der Diözesen hat die EKHN Partnerschaftsbeziehungen. Die Kirchenverwaltung sitzt in Chennai, das von der britischen Kolonialherrschaft Madras genannt wurde. Generalsekretär Samandana hat in Deutschland promoviert und berichtet uns mit seiner Abteilungsleiterin und seinen vier Abteilungsleitern einige spannende Fakten. Schon 1947 wurde die CSI als Union von anglikanischen, reformierten, methodistischen Kirchen gegründet.

Sehr inspirierend, wie die Gemeinden heute aus ihren Strukturen herausgehen. Statt Gemeindewachstum wollen sie Christ-Communities bauen. Mit Menschen am Rand der Gesellschaft. Den niedrigen Kasten, Kastenlosen, Ureinwohnern, Menschen mit Behinderung. Menschen aller Religionen. Frauen fördern, gemeinsam mit Kindern nach dem Platz biblischer Geschichten im eigenen Leben suchen. Kirchliche Räume für die Dorfgemeinschaften öffnen. Überlegen, wo Kirche mit ihren Strukturen selbst eine Barriere zwischen Menschen und der Botschaft von der Liebe Gottes darstellt.


Mit ihren rund 4 Millionen Mitgliedern ist die CSI zwar nach der römisch-katholischen Kirche die zweitgrößte Kirche Indiens, aber trotzdem mit einem Anteil von etwa 1 bis 2 Prozent an der Gesamtbevölkerung in ihrem Kirchengebiet eine kleine aber quicklebendige und hochaktive Minderheit.

Eine überraschend tief beeindruckende Begegnung.


Joachim Schauß

Glaubensfrage Thomas




Der Apostel Thomas war in Indien! Für viele indische Christen ein Glaubensbekenntnis. Ob es nun der Apostel Thomas war oder vielleicht doch ein christlicher Händler, der im 3. Jahrhundert nach Syrien kam, Menschen den christlichen Glauben nahebrachte und deshalb ermordet wurde - die Thomasbasilika und das Grab in der Krypta wollen wir besuchen. 

Zwar wurden die Gebeine auf päpstliche Anweisung vor langer Zeit nach Italien verbracht. Aber die Grabstätte ist trotzdem ein besonderer Ort. Zwei Mädchen haben direkt nach Schulschluss zuerst oben in der Basilika gebetet. Nun knien sie in der Krypta. Eine alte Frau berührt leise weinend eine winzige Knochenreliquie und lässt sie gar nicht mehr los. Wir schweigen, lassen den Raum und die Atmosphäre auf uns wirken, der eine oder die andere spricht leise ein Gebet. Dank vielleicht für die bewegenden Erfahrung auf dieser Reise. Vielleicht eine Bitte um Kraft für die Aufgaben, die zu Hause auf uns warten. 

Irgendwie kommt mir in der Stille der Gedanke, dass wir hier bei Thomas, dem Grenzgänger zwischen Religionen und Kulturen, hier am Sehnsuchts- und Hoffnungsort der indischen Christen am spirituellen Ziel unserer Reise angekommen sind.

Joachim Schauß 





Johny Thonipara: Bei Thomas hört der Spaß auf

Gäbe es Johny Thonipara nicht, dann müsste man ihn glatt erfinden. Mit welcher Inbrunst und Liebe aber auch kritischer Distanz der Asienreferent des Zentrums Oekumene sein Heimatland anderen näherbringt, ist einzigartig. Als christlicher Missionar einst zu den indischen Ureinwohnern geschickt, zeigt der Theologe heute den Ausländern die einheimischen Eigenheiten. 


Trefflich diskutieren kann man mit ihm über das aus deutscher Sicht überbordende Nationalbewusstsein der Atommacht Indien, die schwierige Lage in Kaschmir oder den zunehmenden Hindu-Nationalismus. An einem Punkt aber lässt der Theologe mit Doktortitel, den den alle herzlich Johny nennen, nicht mit sich streiten.

Wenn es um den Apostel Thomas geht, duldet er keinen Widerspruch. Dass der laut einiger Historiker womöglich niemals den Subkontinent betrat und mit einem späteren christlichen Kaufmann verwechselt wurde, lässt Johny nicht gelten. Die wunderbare St. Thomas Basilika bei Chennai und die original Fußabdrücke im Felsen von Little Mount sind ihm dafür genug Glaubensbeweis. Ende der Diskussion.

„Noch Wasser?“ - Shravan und das große Missverständnis


Der „Witz des Tages“ oder die Frage „Wer braucht noch Wasser?“, gehören genauso zu ihm, wie die unglaublichen Kenntnisse über Indien. Egal was man Shravan fragt, er weiß bescheid und gibt bestimmt noch eine Anekdote obendrauf. Und das tut der Indien-Guide auch noch in feinstem Deutsch.

Shravans Begeisterung für die deutsche Sprache entstammt einem riesigen Missverständnis. Mehr oder weniger aus Versehen geriet er mitten in Indien doch tatsächlich einmal in einen deutschsprachigen Film. Er verstand kein Wort. Die mehrheitlich deutschen Besucher konnten sich vor der Leinwand vor Lachen kaum halten und klopften sich bei dem Streifen permanent auf die Schenkel.
Shravans Erklärung: Also müssen Deutsche ganz besonders lustig sein. Die Sprache dieser Leute wollte er unbedingt lernen. Als er später beim Goetheinstitut fast nur schwerst verdauliches deutsches Arthouse zu sehen bekam, dämmerte ihm das große Missverständnis. Doch da war es bei ihm schon um das Deutsche geschehen.

Er hat bis heute nicht herausbekommen können, welcher Film ihn einst als junger Inder für das Deutsche begeistert hat. Davon abgeschreckt, der Sprache Herr zu werden, wo sich Verben sogar vorne ändern können und die Artikel unberechenbar sind (Shravan: „Morgens heißt es der Weizen, Abends plötzlich das Weizen") hat ihn das nicht.

Er ist der mit Abstand beste Guide, dem ich je begegnet bin.
Deshalb hier ein kleiner Werbeblock. 
Shravan ist hier per Mail zu erreichen: meetshravan@yahoo.com 
Doch Achtung: Termine bei ihm gibt’s erst wieder ab 2021. Vorher ist er schon ausgebucht. Und das ist kein „Witz des Tages“.

Mittwoch, 16. Oktober 2019

Trennendes zwischen Religionen, Kulturen und Kasten überwinden


Empowerment ist das Thema unseres Pastoralkollegs. Das von Propst Klaus - Volker Schütz, Johny Thonipara vom Zentrum Oekumene und Ralf Tepel vom Vorstand der Karl Kübel Stiftung vorbereitet und geleitet wird. Für drei Tage ist das Karl Kübel Institut im südindischen Coimbatore der Ort, von dem aus wir die Projekte in der Region besuchen. Auf einer der viele Busfahrten interviewen wir Ralf Tepel, der seit 1990 in der Kübel Stiftung als Referent für die Auslandsprojekte und die entwicklungspolitische Bildungsarbeit zuständig ist. Seit 13 Jahren ist er außerdem im Vorstand.







1972 hat der Unternehmer Karl Kübel die Stiftung gegründet. Was war ihm besonders wichtig?

Tepel: Der vollständige Name „Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie“ ist Programm. Karl Kübel selbst kam aus einer großen Familie. Die Familie ist für ihn wie ein Nährboden für ein gutes Leben. Er selbst war katholisch geprägt, aber der ökumenische Gedanke war ihm sehr wichtig. Er wollte das Verbindende zwischen den Konfessionen und Religionen betonen. In unseren Schulen hier in Indien sollen die Kasten zusammengeführt werden, es gibt zum Beispiel die Glaubenssymbole von Hindus, Christen und Muslimen in den Gebäuden.

Weitere Schwerpunkte sind beispielsweise?
In den ca. 60 Projekten geht es um Empowerment für Menschen in Armut; das Wohl der Kinder ist ganz besonders im Blick. Die Länderschwerpunkte sind Indien, Philippinen, Nepal, Myanmar, Äthiopien, Tansania und Kosovo. Karl Kübel war Unternehmer. Mit 37 Millionen Euro ist die Stiftung gestartet, und ihm war wichtig, diesen Grundbestand zu vermehren um gute Arbeit zu machen. Das war sein Auftrag.



Wie kommt es, dass viele Projekte in Indien liegen?
Tepel: Kübel hat in den 50er Jahren den indischen Karmeliterpater Werner kennen gelernt. Diese Freundschaft inspirierte ihn zum Schwerpunkt Indien. Nur hier entstand ein Institut für Qualifizierung und Fortbildung und Development Education, wo das Postoralkolleg drei Tage zu Gast ist.

Die Stiftung selbst hat ihren Sitz in südhessischen Bensheim. Wie genau ist ihre Struktur?
In der Stiftung arbeiten derzeit etwa 45 Mitarbeitende. Davon sind acht Referentinnen und –Referenten und eine Abteilungsleitung, die die Auslandsprojekte steuern. Die Referentinnen- und Referenten betreuen jeweils etwa 8-10 Projekte. Der Vorstand besteht aus drei Personen. Der ehrenamtlich tätige Stiftungsrat, der die wesentlichen strategischen Entscheidungen trifft und als Aufsichtsorgan fungiert, besteht aus 8 Personen. Propst Klaus-Volker Schütz hat dort übrigens den Stellvertretenden Vorsitz inne.


Das Pastoralkolleg hat die Möglichkeit in Südindien und in der Region um Coimbatore Projekte kennenzulernen. Was sind ihre Schwerpunkte?
„Prachodana“ unterhält eine Brückenschule für Schulabbrecher und ehemalige Kinderarbeiter. Bei „Vikasana“ lernen wir landwirtschaftliche Aspekte kennen. „Good Shepard Health and Education Center“ hat den Schwerpunkt in der Frauenförderung, zum Beispiel mit Selbsthilfegruppen. Dabei nehmen die Frauen auch politischen Einfluss. Sie qualifizieren sich für die politische Teilhabe in Gemeinderäten und haben die Schließung von Alkohol-Shops erwirkt. Alkoholismus bei den Männern ist hier ein großes Problem.

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Unsere Arbeit soll auch in Zukunft dazu beitragen, Trennendes zwischen Religionen Kulturen und Kasten zu überwinden und gegenseitiges Verständnis zu fördern. Das ist mir besonders wichtig.

Anja Harzke und Tanja Brinkmann-Bauer 

Nicht nur für Narendra Modi und Xi Jinping ein interessanter Ort...




Mamallapuram, dort wo sich vor wenigen Tagen die Staatschefs von Indien und China getroffen haben um schwierige politische Fragen zu besprechen, war der krönende Abschluss unseres Pastoralkollegs. An manchen Stellen waren die Aufräumarbeiten des Staatsbesuchs noch zu erkennen. 

Mamallapuram, direkt am Golf von Bengalen gelegen, enthält auf engem Raum herausragende Tempelanlagen, die bis in die Zeit des 8. Jahrhunderts n.Chr. zurückreichen. Heute gehören sie zum UNESCO Weltkulturerbe. Damals war hier unter der Herrschaft der Pallaven ein wichtiger Hafen, der die Stadt mit der Welt verbunden hat.
Doch nicht nur der Handel, sondern vor allem die Kunst der Steinmetze hat die Stadt berühmt gemacht. Neben Felsenreliefs sind es die kunstvoll verzierten Tempel die zum Staunen einladen. Die wenigsten sind wohl jemals geweiht worden, zeugen aber durch die Motive der Bildhauereien von der religiösen Welt des Hinduismus.





Ein beeindruckendes Ensemble sind die „Fünf Rathas“, fünf freistehende Tempel, die alle aus einem Granitfelsen gehauen sind, dazu Elefanten und andere lebensgroße Tiere. Allein der Abraum des Geländes umfasste 120.000 Tonnen Gestein.


Nichts deutet darauf hin, dass vor 15 Jahren eine riesige Tsunamiwelle diesen Küstenstreifen verwüstet hat. Tausende von Menschen waren damals ums Leben gekommen. Wie die Menschen als Hindus wohl mit dieser Katastrophe umgehen? Gibt es auch im Hinduismus ein Theodizee-Problem? Oder gibt es kein so grundsätzliches Problem, weil man Unglück dem persönlichen Karma oder einer zerstörerischen Gottheit zuschreiben kann? 

Auch der Tempel, den wir uns als nächstes anschauen, war von der Tsunamiwelle betroffen. Von unserem Guide erfahren wir, dass die gewaltigen Kräfte damals auch weitere Tempel und Tempelteile freigelegt haben, von denen man bis dahin noch nichts gewusst hatte. 

Die Geschichte von einer ganz anderen Flut ist auf einem der nächsten Steinreliefs zu sehen, das Künstler im 7. Jahrhundert gestaltet haben. Weil die Menschen Krishna angebetet haben, fühlte sich der Regengott vernachlässigt und schickte eine Flut. Khrishna jedoch stemmte sich gegen das Wasser und rettete die Menschen. Besonders eindrücklich ist die Darstellung von Khrishnas Bruder, der einem Bauern tröstend die Hand auf die Schultern legt. 

Wir gehen von einem Höhepunkt zum anderen. Begleitet werden wir dabei von hartnäckigen Verkäufern, die ihre selbst gemachten Kunstwerke an den Mann und die Frau bringen wollen. Manche beeindrucken mit ihren Deutschkenntnissen, andere bieten sich als Guides an. Einmal sind sie so aufdringlich, dass der wartende Bus wie eine rettende Burg erscheint.

Den Abschluss bildet ein anderes Relief, auf dem die göttliche Dreiheit von Brahman, Vishnu und Shiva zu sehen ist, dem Schöpfer, Erhalter und Zerstörer. Davor ein Becken, das für rituelle Waschungen vor dem Gang zum Tempel vorgesehen war. Ich muss an die vielen Kirchen denken, in denen das Taufbecken direkt am Eingang steht. Vor dem Zugang zur Gemeinde und dem Gottesdienst steht die Reinigung, das Bad der Wiedergeburt. Faszinierend, welche Parallelen es bei allen Unterschieden gibt. Es gibt vieles, was uns auch noch nach der Rückkehr begleiten wird.

Dr. Jens Martin Sauter und Roland Jaeckle

War da was?

Sonntag, 13. Oktober 2019 Der Spätnachmittag und frühe Abend an diesem Tag war dem „Shopping“ reserviert. Wir fragten uns leise, ob es sich für Pfarrer*innen der EKHN gehöre, an einem solchen Tag shoppen zu gehen. Aber was sollten wir schon machen? Es war ja alles geplant und dieser Gedanke spielte dann auch schnell keine Rolle mehr in unseren Überlegungen. Der Bus fuhr uns zu drei verschiedenen Plätzen: Der erste Ort war ein vierstöckiges Kaufhaus für Bekleidung jeglicher Art, die zweite Station war ein großes Einkaufszentrum mit großen Label-Shops und die letzte Station war zum einen ein Supermarkt und zum anderen FabIndia, ein Laden für Bekleidung und Stoffe, aber wesentlich kleiner als der erste.


Natürlich ist es immer blöd, mit einer großen Gruppe einkaufen zu gehen, gedrängt von den zeitlichen Vorgaben. Aber hier kam noch etwas anderes dazu: Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Menschen in einem Kaufhaus erlebt. Wenn ich das so schreibe klingt das lax. Das war es aber nicht. Bei MASSA in Bauschheim im Kreis Groß-Gerau war vor vielen Jahren ein Brand ausgebrochen, der aber sehr schnell wieder gelöscht werden konnte. Jedoch musste die gesamte Ware vernichtet werden, weil sie eben „rauchbelastet“ war. Am Samstagmorgen um 7 Uhr sollte der Markt öffnen, damit die Ware verschenkt werden konnte. Schon am Vorabend übernachteten die Menschen vor den Eingängen und auf den Feldern ringsum, um am nächsten Morgen rechtzeitig da zu sein. So ähnlich war es in diesem Kaufhaus. Nur gab es hier nichts umsonst und wurde verschenkt. 

Normalerweise schlendere ich durch die Gänge und lasse mich inspirieren. Ich weiß selten, was ich will. Ich muss mir das anschauen. Dazu aber brauche ich Zeit und Muse. Beides war nicht gegeben. Ich habe dann ein Hemd genommen, was ich am Stand kurz überstreifte und meine Begleiter mir versicherten, dass es mir passe und gut aussähe. Kostet ja nicht viel und wenn es zuhause im Schrank Staub ansetzt, habe ich eigentlich kaum etwas verloren. Vielleicht will es ja mein Sohn haben. Viele aus unserer Gruppe waren da deutlich zielstrebiger und haben sich mit den Dingen eingedeckt, die sie wollten, suchten und auch fanden. Dann kam es doch zu einigen Unklarheiten: Wie funktioniert das mit dem Bezahlen? Der nette Verkäufer verstand uns überhaupt nicht und nickte auf unsere unterschiedlich formulierten Anfragen immer nur lächelnd. Dann haben wir herausgefunden, dass wir die Ware an einem Schalter in unserem dritten Stock abgeben mussten. Dort bekamen wir eine Rechnung, mit der wir zur Kasse im Erdgeschoss fuhren. Man kann sich vorstellen, dass es vor dieser Kasse doch ziemlich laut, hektisch und voll war. 

So übergaben wir dem Größten von uns das Geld und die Rechnungen und der schob sich langsam zur Kasse. Jetzt hatten wir bezahlt, die Ware jedoch befand sich an einem anderen Ort. Wir fanden „Delivery“ auf einem Hinweisschild, eine große Halle mit Tresen und extrem vielen Menschen davor, aber auch wirklich fleißig hin- und herwieselnden Ausgeber. Zuerst hörten wir, dass wir uns an einer der ziellos umherirrenden „Zuhälter“ wenden sollten, die sich für uns ins Getümmel stürzen würden, um unsere Schätze zu besorgen. Doch dann entdeckten wir, dass die Schalter nach Stockwerken verteilt waren und wir verfuhren nach dem gleichen Prinzip: Einer stellte sich an und besorgte unsere Kleidung. Und kaum zu glauben: Alles funktionierte einwandfrei und letztlich auch problemlos. Wir nahmen unsere Sachen und eilten zum Bus. Auf der Straße waren ebenfalls eine unglaubliche Anzahl von Menschen. Da hier so etwas wie ein Bürgersteig eigentlich gar nicht existent ist, muss man sich mit allen möglichen Fußgängern und Fahrzeugen die Fahrbahn teilen. Dabei kommt es darauf an, das Hupen und Tröten der Fahrzeuge richtig zu deuten. Als wir dann im Getümmel standen und auf unseren Bus warteten, zeigten wir uns stolz unsere Errungenschaften und freuten uns über die verschiedenen günstigen Angebote und Schnäppchen, aber auch über die schönen Stoffe, Farben und Muster.

Ralf Tepel ging mit uns an unserer zweiten Station in einen Laden, in dem preiswert sehr gute Kaschmirschals zu erwerben waren. Mit mehr als 20 Leuten stürmten wir den kleinen Laden und Ralf übernahm sofort die Preisverhandlungen. Zuerst sollte ein Kaschmirschal 3500 RS kosten. Dann, nach einigem Hin und Her und einem Telefonanruf des Händlers (bei seinem Bruder?) reduzierte sich der Preis auf 1600 RS, ein sehr gutes Angebot. Um den kleinen Verkaufstisch standen 20 Deutsche, selbst hinter dem Tresen. Und auf dem Tisch, der vorher ordentlich leergeräumt war, befanden sich Schals, die aus der Packung gezogen und begutachtet wurden. Ich glaube, jeder hat hier etwas gekauft, so mancher hat aber auch noch ein besseres Geschäft gemacht als das Vorgeschlagene: einem aus unserer Gruppe ist es gelungen, acht Schals für insgesamt 7000RS zu kaufen. Ich habe von keinem besseren Deal gehört. Der Verkäufer hat bestimmt das Geschäft der Woche, wenn nicht des vergangenen Monats oder mehr, gemacht. 
An der dritten Station war die Aufregung dann doch deutlich reduzierter. FabIndia war lange nicht so voll wie die vorhergehenden Häuser. Der Supermarkt war so besucht wie bei uns REWE an einem Freitagabend. Auch hier wurde einiges gekauft, so manches für den täglichen Bedarf oder einfach kleinere Gimmicks (Nüsse oder ähnliches); bei FabIndia jedoch auch wieder Hemden und Hosen und andere Kleidung.

Als wir dann endlich nach ungefähr drei Stunden in unseren Bus fielen und langsam durch die engen und belebten Straßen zu unserer Unterkunft zurückfuhren, sah ich auf der Straße drei Kinder. Sie sahen sehr verwahrlost aus und einer stand mit dürren, bettelnden Armen am Straßenrand. Und plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass ich zwar in Deutschland die Frage nach Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie immer wieder im Unterricht stelle und dabei auf Unternehmen wie TIK zeige, die im asiatischen Raum produzieren lassen. Aber hier, an einem Ort, in dem Kinderarbeit immer noch weitverbreitet ist, kaufe ich die sehr preiswerte Kleidung und stelle mir die Frage nicht. Gibt es für die indischen Produkte nur faire Produktionsbedingungen? Werden die Hemden, die wir hier gekauft haben unter gerechten und ökologisch sauberen Bedingungen hergestellt? Darf mein Gewissen hier schlafen oder einfach anders ticken als in Deutschland? Plötzlich konnte ich mich nicht mehr so freuen über meine Einkäufe und mit einem etwas flauen Gefühl im Magen fuhr ich in meine Unterkunft zurück.