Mittwoch, 16. Oktober 2019

War da was?

Sonntag, 13. Oktober 2019 Der Spätnachmittag und frühe Abend an diesem Tag war dem „Shopping“ reserviert. Wir fragten uns leise, ob es sich für Pfarrer*innen der EKHN gehöre, an einem solchen Tag shoppen zu gehen. Aber was sollten wir schon machen? Es war ja alles geplant und dieser Gedanke spielte dann auch schnell keine Rolle mehr in unseren Überlegungen. Der Bus fuhr uns zu drei verschiedenen Plätzen: Der erste Ort war ein vierstöckiges Kaufhaus für Bekleidung jeglicher Art, die zweite Station war ein großes Einkaufszentrum mit großen Label-Shops und die letzte Station war zum einen ein Supermarkt und zum anderen FabIndia, ein Laden für Bekleidung und Stoffe, aber wesentlich kleiner als der erste.


Natürlich ist es immer blöd, mit einer großen Gruppe einkaufen zu gehen, gedrängt von den zeitlichen Vorgaben. Aber hier kam noch etwas anderes dazu: Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Menschen in einem Kaufhaus erlebt. Wenn ich das so schreibe klingt das lax. Das war es aber nicht. Bei MASSA in Bauschheim im Kreis Groß-Gerau war vor vielen Jahren ein Brand ausgebrochen, der aber sehr schnell wieder gelöscht werden konnte. Jedoch musste die gesamte Ware vernichtet werden, weil sie eben „rauchbelastet“ war. Am Samstagmorgen um 7 Uhr sollte der Markt öffnen, damit die Ware verschenkt werden konnte. Schon am Vorabend übernachteten die Menschen vor den Eingängen und auf den Feldern ringsum, um am nächsten Morgen rechtzeitig da zu sein. So ähnlich war es in diesem Kaufhaus. Nur gab es hier nichts umsonst und wurde verschenkt. 

Normalerweise schlendere ich durch die Gänge und lasse mich inspirieren. Ich weiß selten, was ich will. Ich muss mir das anschauen. Dazu aber brauche ich Zeit und Muse. Beides war nicht gegeben. Ich habe dann ein Hemd genommen, was ich am Stand kurz überstreifte und meine Begleiter mir versicherten, dass es mir passe und gut aussähe. Kostet ja nicht viel und wenn es zuhause im Schrank Staub ansetzt, habe ich eigentlich kaum etwas verloren. Vielleicht will es ja mein Sohn haben. Viele aus unserer Gruppe waren da deutlich zielstrebiger und haben sich mit den Dingen eingedeckt, die sie wollten, suchten und auch fanden. Dann kam es doch zu einigen Unklarheiten: Wie funktioniert das mit dem Bezahlen? Der nette Verkäufer verstand uns überhaupt nicht und nickte auf unsere unterschiedlich formulierten Anfragen immer nur lächelnd. Dann haben wir herausgefunden, dass wir die Ware an einem Schalter in unserem dritten Stock abgeben mussten. Dort bekamen wir eine Rechnung, mit der wir zur Kasse im Erdgeschoss fuhren. Man kann sich vorstellen, dass es vor dieser Kasse doch ziemlich laut, hektisch und voll war. 

So übergaben wir dem Größten von uns das Geld und die Rechnungen und der schob sich langsam zur Kasse. Jetzt hatten wir bezahlt, die Ware jedoch befand sich an einem anderen Ort. Wir fanden „Delivery“ auf einem Hinweisschild, eine große Halle mit Tresen und extrem vielen Menschen davor, aber auch wirklich fleißig hin- und herwieselnden Ausgeber. Zuerst hörten wir, dass wir uns an einer der ziellos umherirrenden „Zuhälter“ wenden sollten, die sich für uns ins Getümmel stürzen würden, um unsere Schätze zu besorgen. Doch dann entdeckten wir, dass die Schalter nach Stockwerken verteilt waren und wir verfuhren nach dem gleichen Prinzip: Einer stellte sich an und besorgte unsere Kleidung. Und kaum zu glauben: Alles funktionierte einwandfrei und letztlich auch problemlos. Wir nahmen unsere Sachen und eilten zum Bus. Auf der Straße waren ebenfalls eine unglaubliche Anzahl von Menschen. Da hier so etwas wie ein Bürgersteig eigentlich gar nicht existent ist, muss man sich mit allen möglichen Fußgängern und Fahrzeugen die Fahrbahn teilen. Dabei kommt es darauf an, das Hupen und Tröten der Fahrzeuge richtig zu deuten. Als wir dann im Getümmel standen und auf unseren Bus warteten, zeigten wir uns stolz unsere Errungenschaften und freuten uns über die verschiedenen günstigen Angebote und Schnäppchen, aber auch über die schönen Stoffe, Farben und Muster.

Ralf Tepel ging mit uns an unserer zweiten Station in einen Laden, in dem preiswert sehr gute Kaschmirschals zu erwerben waren. Mit mehr als 20 Leuten stürmten wir den kleinen Laden und Ralf übernahm sofort die Preisverhandlungen. Zuerst sollte ein Kaschmirschal 3500 RS kosten. Dann, nach einigem Hin und Her und einem Telefonanruf des Händlers (bei seinem Bruder?) reduzierte sich der Preis auf 1600 RS, ein sehr gutes Angebot. Um den kleinen Verkaufstisch standen 20 Deutsche, selbst hinter dem Tresen. Und auf dem Tisch, der vorher ordentlich leergeräumt war, befanden sich Schals, die aus der Packung gezogen und begutachtet wurden. Ich glaube, jeder hat hier etwas gekauft, so mancher hat aber auch noch ein besseres Geschäft gemacht als das Vorgeschlagene: einem aus unserer Gruppe ist es gelungen, acht Schals für insgesamt 7000RS zu kaufen. Ich habe von keinem besseren Deal gehört. Der Verkäufer hat bestimmt das Geschäft der Woche, wenn nicht des vergangenen Monats oder mehr, gemacht. 
An der dritten Station war die Aufregung dann doch deutlich reduzierter. FabIndia war lange nicht so voll wie die vorhergehenden Häuser. Der Supermarkt war so besucht wie bei uns REWE an einem Freitagabend. Auch hier wurde einiges gekauft, so manches für den täglichen Bedarf oder einfach kleinere Gimmicks (Nüsse oder ähnliches); bei FabIndia jedoch auch wieder Hemden und Hosen und andere Kleidung.

Als wir dann endlich nach ungefähr drei Stunden in unseren Bus fielen und langsam durch die engen und belebten Straßen zu unserer Unterkunft zurückfuhren, sah ich auf der Straße drei Kinder. Sie sahen sehr verwahrlost aus und einer stand mit dürren, bettelnden Armen am Straßenrand. Und plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass ich zwar in Deutschland die Frage nach Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie immer wieder im Unterricht stelle und dabei auf Unternehmen wie TIK zeige, die im asiatischen Raum produzieren lassen. Aber hier, an einem Ort, in dem Kinderarbeit immer noch weitverbreitet ist, kaufe ich die sehr preiswerte Kleidung und stelle mir die Frage nicht. Gibt es für die indischen Produkte nur faire Produktionsbedingungen? Werden die Hemden, die wir hier gekauft haben unter gerechten und ökologisch sauberen Bedingungen hergestellt? Darf mein Gewissen hier schlafen oder einfach anders ticken als in Deutschland? Plötzlich konnte ich mich nicht mehr so freuen über meine Einkäufe und mit einem etwas flauen Gefühl im Magen fuhr ich in meine Unterkunft zurück.



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