Montag, 14. Oktober 2019

„Free like a bird“ mit viel Last auf den Schultern - Empowerment auf indisch

Stage fever (Lampenfieber) habe sie früher immer gehabt, jetzt nicht mehr, erzählt eine junge Frau. Das ist zu spüren - und nicht nur bei ihr. Wir sind in Indien, um über Empowerment zu lernen und wir lernen viel und erleben unglaublich viel Power! Selbstbewusst, strahlend, laut, so erzählen die Frauen bei unseren Begegnungen in allen Projekten.



Am Rande einer Präsentation unterhalte ich mich mit einigen von ihnen - das geht erstaunlich gut mit Geduld und Gesten und immer wieder ein paar Worten Englisch. Wir tauschen uns über Hühner aus, über Biodünger, Solaranlagen, Nähmaschinen und natürlich über unsere Kinder. Ein Kind, maximal zwei haben sie. Und wie viele Kinder ich habe, werde ich gefragt. “Drei”, zeige ich mit den Fingern und ernte kritische Blicke. Doch dann lachen die Frauen selbstbewusst: “Don’t you know about familiy planning?”



Beim Besuch eines Entwicklungsprojektes in Karamadai sind wir im privaten Haus einer älteren Frau zusammen. Einige Plastikstühle stehen für uns Besucher*innen bereit, fünf Gäste passen auf das einfache Bett, die Dorfbewohnerinnen stehen oder sitzen am Boden. Auch einige Männer sind da, sie schauen interessiert durch die Fensteröffnung oder warten auf dem Weg vor dem Haus. Aber die Frauen sind es, die sprechen.




Ob sich ihre Situation durch das Projekt verändert habe, fragt eine Besucherin die Anwesenden. Ein Raunen geht durch die Gruppe, die Frauen strahlen. Dann antwortet die Gastgeberin und die Übersetzerin erklärt. Früher sei sie immer im Haus gewesen, jetzt gehe sie raus. “She feels she is a free bird”.

Ja, “going and growing” darum geht es, ergänzt Schwester Anila. Und dann stellen die Frauen ihre Fragen. “Do you like our village?“ „Do you like us?“ Sie wollen wissen, ob es in Deutschland auch Selbsthilfegruppen gebe und erzählen lachend, dass sie nicht erwartet hätten, dass wir so weiß sind.



Ernster ist die Stimmung als es um gute und nicht so gute Ehemänner geht, um Alkoholismus und die Frage, wo sie Hilfe und Schutz finden. “They share their shoulder for each other” fasst die Übersetzerin die Reaktionen zusammen. Eine Frau ergänzt: “Wir helfen einander es zu ertragen.” Von anderen Möglichkeiten wird nicht gesprochen.

Als eine Kollegin sagt, wie stark die Frauen sind, zu arbeiten, den Haushalt zu machen und die Kinder zu erziehen, gibt es eine einfache Erklärung: Das sei eben so, weil Frauen das besser können. „They are more mentally able!“ Und dann kommt wieder ein humorvoller Zwischenruf: “Und die Hausarbeit wird nicht bezahlt!“ „In Deutschland auch nicht!“ lachen wir.



Richtig Spaß haben wir dann mit unseren kleinen Gastgeschenken. Wir haben Postkarten aus einem Kreativprojekt von jungen Frauen in Frankfurt mitgebracht und Trillerpfeifen. „Die brauchen wir in Deutschland immer noch, wenn wir mal wieder nicht gehört werden!“ erklären wir. Den Frauen in Karamadai fällt sofort ein, in welcher Situation sie solch eine Pfeife auch gut gebrauchen können. „Respekt! Stoppt Sexismus!“ steht auf den Trillerpfeifen. Und das müssen wir gar nicht übersetzen lassen. „Respekt“ wird bei diesen Frauen direkt verstanden!

Anne Daur-Lyrhammer

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